Gründung der Ersten Georgischen Republik | Der Nationalfeiertag in Kutaissi (Georgien)

Seit 26. Mai 1918 versuchte eine aufstrebende nationale Elite mit der Unabhängigkeitserklärung von Russland und der Gründung der Ersten Georgischen Republik ihr Land an das Nachkriegsideal eines sozialdemokratischen Europas heranzuführen und sich gegen das nach Ende des zweiten Weltkrieges wiederauflebende bolschewistische Sowjetrussland zu stellen. Dieser Versuch aber endete bereits 1921 durch die Intervention der Rote Armee und die Zwangseingliederung Georgiens, so dass Georgien schließlich 70 Jahre im Sowjetverbund verblieb (vgl. Brisku 2018, S. 24). Seit 2004 griff Micheil Saakaschwili, der auf die ersten Präsidenten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, Swiad Gamsachurdia und Eduard Schewardnadse, folgte, auf die Idee einer europäischen nationalen Identität zurück, scheiterte aber nach vielen erfolgreichen Reformbestrebungen an den eigenen antidemokratischen Tendenzen seiner Politik.

We made the European choice centuries ago. This is the choice of a people who has statehood, friends, but is still occupied by a strong neighbor.” (Giorgi Margvelashvil, Präsident Georgiens 2018)

Der 26. Mai, der mit der Unabhängigkeit vom Sowjetsystem zugleich der erste Tag einer freien Präsidentschaftswahl war, wurde unter Präsident Gamsachurdia zum Nationalfeiertag erklärt. Während der Präsidentschaft Schewardnadses wurde der Unabhängigkeitstag eher als zivilgesellschaftlicher Feiertag begangen. Im Gegensatz dazu ließ Präsident Saakaschwili am 26. Mai 2004 die ersten Militärparaden durchführen als eine neue Tradition, die in Form einer Waffenschau auch als Signal gegenüber Putins Russland zu verstehen war und für viele Georgier bis heute wegen der leidvollen Vergangenheit der Sezessionskriege und der letzten russländischen Intervention aus dem Jahr 2008 eine hohe Symbolkraft hat.

Während der 26. Mai als Feiertag der Unabhängigkeit weitestgehend anerkannt ist, wird die Erste Georgische Republik selbst mit dem von ihr propagierten sozialen und politischen Modell in Georgien heute als „Verrat am Georgischen Volk“ oder ein dem sozialistischen System nahes Modell überwiegend abgelehnt als Folge der erst sozialistischen, nach der Sowjetzeit nationalistischen Propaganda (vgl. Iremadze 2018, S. 64 f.). Für die neoliberalen Präsidenten seit Micheil Saakaschwili gilt es, in der Ablehnung des sozialdemokratischen Kerns der Ersten Georgischen Republik, die höchste Anerkennung unter der Arbeiterschaft hatte, vor allem die in der Gesellschaft bestehende Sehnsucht nach einem staatlich geschützten sozialistischen System zu bekämpfen.

In der georgischen Historiographie ist die Behauptung weit verbreitet, dass die georgischen Sozialdemokraten […] das georgische Volk ‚nicht genügend liebten‘, die Rechte des Volkes nicht schützten und ihre sämtlichen Kräfte für die Klassenfrage verwendeten.“ (Iremadze 2018)

Die Verhandlung der Frage, worin Georgien im Kern bestehe, was das ‚Georgisch-Nationale‘ sei, findet seinen Ausdruck auch in den zahlreichen Kostümen, in die vor allem Kinder gekleidet sind und den Tanzvorstellungen auf der Bühne das zentralen Parks in Kutaissi. Denn für nationalistische Kreise ist eine Öffnung in Richtung Europa nicht selbstverständlich, sehen sie doch die Gefahr, dass damit die ‚Georgische Identität‘ verloren gehen können, da die Europäische Idee ihrer Ansicht nach einen moralisch unentschiedenen Multinationalismus propagiere.

Vor dem komplizierten Hintergrund des georgischen Staates und der Zersplitterung der politischen Ansichten präsentieren sich die Feiern zum Unabhängigkeitstag für einen Betrachter von außen so als schwer zu fassende, amorphe Mischung zwischen nationalistischem Volksfest, martialischer Waffenschau und Ausdruck vielfältiger Willensbekundung nach politischer, sozialer, religiöser und wirtschaftlicher Unabhängigkeit und Sicherheit gegen jeden neuerlichen Zugriff Russlands auf das georgische Territorium..

Quellen und Literaturempfehlungen

Nakhutsrishvili, L. & Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.) (2018). Georgien, neu buchstabiert. Politik und Kultur eines Landes auf dem Weg nach Europa. Verfühbar unter: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-4533-0/georgien-neu-buchstabiert/ (2.8.2019)

Agenda.ge (Hrsg.) (2019). New campaign dedicated to Georgia’s 100th independence anniversary kicks off. Verfügbar unter: http://agenda.ge/en/news/2019/1388 (2.8.2019)

Agenda.ge (Hrsg.) (2018). Georgia celebrates Independence Day, 463 recruits take an oath. Verfügbar über: http://agenda.ge/en/news/2018/387 (2.8.2019)

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